Durch den verschwenderischen Umgang mit Medikamenten und Reinigungsmitteln gelangen immer mehr Gifte und Umwelthormone ins Trinkwasser.
“Umwelthormone können alle möglichen Stoffe sein, zum Beispiel Pestizide in der Landwirtschaft oder Stoffe in der Antibabypille, die alle im Wasser landen”, sagt Sebastian Schönauer vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). “Umwelthormone sind aber auch in vielen Alltagsgegenständen versteckt, etwa in PET-Flaschen, aber auch in Konservendosen, in Kassenzetteln und sonstigen Alltagsgegenständen.”
Selbst mit neuen Methoden könne man nicht alle Stoffe herausfiltern. “Manche Methoden produzieren sogar Stoffe, die giftiger sind als die Ursprungssubstanzen”, sagt der Lüneburger Umweltwissenschaftler Klaus Kümmerer. Auch Aktivkohle könne nur einen Teil der vielen Stoffe herausfiltern. Je nach Technik könnten die meisten Stoffe trotz erweiterter Behandlung Kläranlagen passieren und zum Teil ins Trinkwasser gelangen. Auch neue Methoden der Erdgasförderung wie Fracking stellten eine Gefahr für das Trinkwasser dar, mahnt Kümmerer. “Was im Grundwasser ist, kann man nicht mehr herausholen.”
Von alleine zerfallen – Wirkstoffe aus Flüssen holen
Der Lüneburger Chemiker Prof. Klaus Kümmerer hat Medikamente entwickelt, die Kläranlagen ohne Rückstände aus dem Wasser holen können. Mittlerweile arbeitet er an Substanzen für die Textilindustrie, die sich nicht in Flüssen und Seen wiederfinden: “Das ist nicht nur eine wissenschaftliche Frage der Machbarkeit, die Instrumente haben wir eigentlich zum großen Teil. Sondern das hat auch etwas mit Selbstverständnis und Wollen zu tun.”
Viele Medikamente gelangen ins Abwassersystem
Auch Medikamentenrückstände gelangen vor allem durch die menschlichen Ausscheidungen ins Abwasser und können von den Kläranlagen in den geringen Konzentrationen nicht ausreichend gefiltert und gereinigt werden. Ein Problem ist aber dem Bundesumweltamt zufolge auch, dass unwissende oder allzu bequeme Verbraucher nicht eingenommene oder abgelaufene Medikamente einfach in der Toilette entsorgen. Forscher haben im Trinkwasser mehrfach zehn Wirkstoffe aus Arzneimittelrückständen nachgewiesen: den Blutfettsenker Bezafibrat, das Antirheumatikum Diclofenac, Röntgenkontrastmittel oder das Antischmerzmittel Ibuprofen.
Bei anderen gebe es einen oder einige wenige Befunde, sagt der Toxikologe Hermann Dieter vom Umweltbundesamt. Wie viele der 3000 zugelassenen Wirkstoffe im Trinkwasser vorkommen, könne nicht angegeben werden. “Das ist schwer abzuschätzen, wissenschaftliche Aussagen kann man dazu nicht machen.”
Forscher können nicht sagen, wie groß die Gefahr ist
Verbesserte Analysemethoden würden künftig wohl Rückstände weiterer Arzneien zutage fördern. “Die nachgewiesenen Mittel im Trinkwasser sind zwischen 100 und eine Million Mal niedriger als die verschriebene Tagesdosis”, erklärt Dieter. Das bedeute aber nicht, dass sie unbedenklich seien: “Eine Quantifizierung des Risikos auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage ist noch nicht möglich. Ich sehe hier unbedingt mehr Forschungsbedarf.” Vor allem die Wirkung, die sich ergeben könne, wenn Verbraucher viele Jahre lang mehrere Wirkstoffe gleichzeitig in geringen Konzentrationen über das Trinkwasser zu sich nähmen, sei noch unklar.
Es gebe aber ernstzunehmende Hinweise aus der Tierwelt: Bei Fischen etwa, die an Kläranlagen-Ausgängen leben, wurden nach Östrogen-Aufnahme (Ethinylestradiol aus der Antibabypille) Geschlechts-Umwandlungen beobachtet. Bei den aufgespürten Substanzen legen Experten tolerierbare Konzentrationsobergrenzen fest, erklärt der Vorsitzende der Trinkwasserkommission, Prof. Martin Exner. “Wir wollen erreichen, dass jedwede Substanz, die im Trinkwasser nichts zu suchen hat oder deren Wirkung noch nicht bekannt ist, auf einen Minimalwert von 0,1 Mikrogramm pro ein Liter Trinkwasser reduziert wird.”
Bei erbgutverändernden Substanzen werde der Wert noch deutlich niedriger angesetzt. Es sei aber eine Illusion zu glauben, dass jeder Stoff erfasst werden könne, zumal ständig neue Wirkstoffe und Arzneien hergestellt würden, warnt der Bonner Experte. Die Abwasseraufbereitung müsse technologisch aufgerüstet werden – gefragt seien etwa Nano- oder Mikrofiltration oder Aktivkohlverfahren.
Multiresistente Keime und Arzneien im Wasser
Auch multiresistente Keime gelangen mit dem Abwasser in die Natur, hat der Mainzer Mediziner Wolfgang Kohnen festgestellt. “Wir müssen die Übertragung über das Wasser unterbrechen.” Der Karlsruher Umweltmikrobiologe Dr. Thomas Schwartz sagt: “Es war klar, dass wir in Abwassersystemen von Krankenhäusern oder Kläranlagen solche Resistenz-Gene nachweisen können, aber dass wir diese Resistenz-Gene vor allen Dingen auch im Trinkwasserbereich nachweisen können, hat uns sehr überrascht.”
Diese Bakterien leben gut geschützt in den Leitungsrohren. An den Innenwänden bilden sie Biofilme: dichte Siedlungen, in denen verschiedenste Bakterien eng beieinander leben. Die Karlsruher Wissenschaftler um Schwartz haben Resistenz-Gene nachgewiesen, mit denen sich die Bakterien vor gängigen Antibiotika schützen können.
19.05.2003, zuletzt aktualisiert am 27.06.2012 / mp mit Material von ap und dpa
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[2] http://www.3sat.de/webtv/?120627_schmutz_nano.rm (Chemiker suchen nach Sub[…]Wasser nicht verschmutzen)
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