Wann explodiert die Zeitbombe im Grundwasser?

Die Trinkwasserqualität in Deutschland ist gut – noch. Die Überdüngung der Felder mit Kot und Urin aus der Massentierhaltung belastet jedoch das Grundwasser. Dabei gibt es einen Verzögerungseffekt.

Quelle: http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article144084678/Wann-explodiert-die-Zeitbombe-im-Grundwasser.html

Die von Natur aus sehr gute Grundwasserqualität hierzulande sinkt seit Jahren. Deutschland zählt mittlerweile zu den größten Trinkwasserverschmutzern in der EU. Der Grund: Kot und Urin aus der Massentierhaltung wird als Gülle massenhaft auf die Felder gekippt, wobei Nitrat freigesetzt wird, das in unser Grundwasser gelangt.

Schon längst wird der Nitratgrenzwert vielerorts überschritten. Mittlerweile schlägt auch die Europäische Kommission Alarm und stellt Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus.

In vielen Regionen lassen überdüngte Böden die Nitratwerte im Grundwasser seit Jahren bedenklich ansteigen, warnt auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Über ein Viertel der etwa 1000 abgegrenzten Grundwasserkörper seien hierzulande nicht in dem von der EU geforderten “guten Zustand”. “43 Prozent der Grundwässer weisen bereits Nitratgehalte zwischen 25 und 50 Milligramm pro Liter auf”, sagte Jörg Simon vom BDEW in Berlin.

Viele Wasserversorger könnten den Nitratgrenzwert von 50 Milligramm pro Liter nur durch Notlösungen – etwa das Mischen mit unbelastetem Wasser – unterschreiten. Drei Viertel des Trinkwassers in Deutschland werden aus dem Grundwasser gewonnen.

Der Verband spricht von einer Verzögerungstaktik bei der Nitratreduzierung, die laut EU-Richtlinie umzusetzen ist. “Trotz der intensiven Diskussionen und des laufenden EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland erleben wir eine seit Monaten andauernde politische Blockade”, beklagte Simon.

So stehe eine durchgreifende Novelle der Düngeverordnung und des Düngegesetzes weiter aus. Zudem werde der “Gülle-Tourismus” aus Holland, Dänemark oder Belgien darin auch nur unzureichend eingeschränkt, so der Verband.

Nitrat gelangt mit Verzögerung ins Grundwasser

Darüber hinaus fehle nach wie vor ein Bußgeldkatalog. Wer überdünge, bekomme lediglich eine Belehrung. Das sei absolut unzureichend. Ein Überschreiten der erlaubten Mengen sollte ordnungsrechtlich sanktioniert werden.

Vor allem Schweinezüchter produzieren of mehr Gülle, als sie auf ihren Flächen unterbringen können. Sie lassen die Fäkalien daher dorthin transportieren, wo es weniger Tierhaltung gibt. Für andere Bauern ist die Gülle ein kostenloser Dünger.

“Aufgrund der langen Sicker- und Fließzeiten durch die Bodenschichten lässt sich Nitrat erst mit Verzögerung im Grundwasser nachweisen”, erläuterte Simon. Das heißt: Selbst wenn ab sofort kein Nitrat mehr in den Boden gelangt, kann es Jahrzehnte dauern, bis der Nitratgehalt im Grundwasser wieder sinkt. Mit anderen Worten: Die Trinkwasserwerte spiegeln lediglich die Belastungen von vor Jahren wider.

“Dass zu viel gedüngt wird, kostet die Trinkwasserkunden richtig Geld. Entweder muss unbelastetes Grundwasser über weite Entfernung herangeführt werden oder technisch das Nitrat herausgefiltert werden”, sagte der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff.

Mit dem Nitratproblem beschäftigt sich auch Professor Hans-Werner Olfs an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule in Osnabrück. Er empfiehlt, dass zusätzliche Chemikalien, sogenannte Nitrifikationshemmer, der Gülle beigemischt werden sollten, um ein zu rasches Versickern der Schadstoffe zu verhindern. Das Verfahren ist allerdings umstritten: Wasserversorger fürchten, dass die chemischen Hilfsstoffe noch nicht genug erforscht sind und zu weiteren Umweltproblemen führen könnten.

Gefunden werden nur Stoffe, die gezielt gesucht werden

Auch die Tatsache, dass fast die Hälfte der Menschen in Deutschland alte Medikamente durch Toilette oder Waschbecken entsorgt – wie das Bundesforschungsministerium im Februar berichtete –, macht zunehmend Sorgen.

Ob Röntgenkontrastmittel, Antibiotika, Antiepileptika, Betablocker, Schmerzmittel, Diabetesmittel oder Hormone – in Grund-, Oberflächen- und Trinkwasser lassen sich etliche Arzneimittelrückstände nachweisen. Laut Umweltbundesamt (Uba) wurden in Deutschland bereits im Jahr 2011 insgesamt 23 Wirkstoffe im Trinkwasser gefunden. Im Grundwasser wurden Spuren von 55 verschiedenen Arzneimitteln nachgewiesen; in Seen und Flüssen liegt die Zahl der gefundenen Wirkstoffe sogar im dreistelligen Bereich.

Dabei sind die bislang nachgewiesenen Rückstände nur die Spitze des Eisbergs. Das Problem bei Kontrollen auf bestimmte Wirkstoffe ist nämlich, dass nur das entdeckt wird, wonach man gezielt sucht. In Deutschland sind bis zu 3000 Wirkstoffe auf dem Markt.

Aus Sicht der Wasserwirtschaft sollte daher das Verursacher- und Vorsorgeprinzip auch beim Thema Medikamentenrückstände deutlich gestärkt werden. “Die richtige Entsorgung von Medikamenten wird vor dem Hintergrund eines stetig zunehmenden Medikamentenkonsums immer wichtiger. (…) Wir fordern daher eine verpflichtende Einführung eines bundesweit einheitlichen Sammel- bzw. Rücknahmesystems für Altmedikamente”, so Simon.

Eine Gesundheitsgefahr für Menschen besteht dadurch laut Umweltbundesamt nach heutigem Kenntnisstand zwar nicht. Doch auch die Deutsche Umwelthilfe hat bereits davor gewarnt, dass mit der Zahl älterer Menschen auch die Menge der verordneten Medikamente steigt.

Vor allem Antibiotika, hormonell wirkende Substanzen oder Schmerzmittel könnten im Abwasser Probleme bereiten: Heutige Kläranlagen sind darauf nicht ausgerichtet und bedürften zunächst einer teuren vierten Reinigungsstufe.

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